Realutopie

Matthias Pfammatter

Mit der Absicht, Wohnen, Arbeit und Frei­zeit so lokal wie möglich anzulegen, entstanden im Unter-Grundhof zwischen 1988 und 1996 insgesamt 68 Wohnungen, drei Gemeinschafts­räume und acht Ate­li­ers – teils durch Bauen neuer Gebäude, teils durch sanfte Re­no­va­ti­on bestehender Liegen­­schaften. Heute wohnen 174 Menschen in der Siedlung.

Bei der Planung stand ein res­sour­cen­scho­nendes und günstiges Bau­en im Vordergrund, das auf um­welt­be­las­tenden Luxus ver­zich­tete. Es wurden bereits damals Solar­thermieanlagen montiert. Ge­heizt wird vorwiegend mit Holz und durch passive Solar­nutzung in den nach Süden aus­gerichteten «Son­nen­räumen».

Die Gebäude bilden einzelne Ge­nos­sen­schaften und sind zum grossen Teil selbst­verwaltet. Zwi­schen den Gebäuden befindet sich die «Allmend», deren Nutzen, Gestaltung und Unterhalt ge­mein­sam stattfindet. Die gesamte Siedlung ist autofrei und bietet in der Tief­garage Platz für lediglich 24 Autos.

Im südlichen Teil der Siedlung wurde 2005 eine Fläche von über 6000m² rückgezont, welche fortan der gesamten Nachbarschaft zur Verfügung steht; mit dem Ziel, ökologisch und sozial wertvollen Lebensraum zu schaffen. Heute befinden sich darauf Garten­beete, Bienen­kästen, Obst­bäume, Wiesen­flächen, ein Geschichten­wagen und eine Stallung für Hühner und Schafe.

Bei der Planung der Siedlung war es mir wichtig, die bestehende Ausstrahlung des Bauernhofes miteinzubeziehen. Der Mondgarten war früher eine landwirtschaftlich genutzte Wiese, das Häuschen ein Hühnerstall, welches wir zu einer Orangerie und zu einem Klang- und Meditationsraum umgebaut haben.
Ich möchte, dass die Leute in diesem Garten eine ruhige Zone vorfinden. Einen Ort, wo sie in die Ruhe eintauchen können. Wo sie nicht miteinander reden müssen. Sie dürfen natürlich, aber müssen nicht.
Die Gestaltung geschieht sehr intuitiv, aus dem Bedürfnis heraus, Schönheit entstehen zu lassen, aber völlig natürlich, nicht auf eine künstliche Art. Natur ist an sich immer schön. Aber als Mensch darf man auch mithelfen, um eine solche Vision von Paradiesgärten zu verwirklichen.
Ich kann mir schon vorstellen, dass ich in einem anderen Beruf, welcher kei­ne Teilzeitarbeit erlaubt hätte, das Leben hier als überfordernd empfunden hätte.
Je mehr Stress die Menschen haben, desto weniger sehen sie die Mög­lich­keit, sich in einer Gesellschaft zu beteiligen und einzubringen. Denn es bedeutet Arbeit.
Aber ich hoffe stark auf strukturelle Änderungen, damit die Leute merken, dass sie sinnvolle Tagesabläufe brauchen und dass der Alltag ein Potenzial bietet, auch Freude zu bereiten – auf unterschiedlichsten Ebenen.
Meine Nachbarin und ich, beide pensioniert, spürten vor drei Jahren das Bedürfnis, für Kleinkinder unserer Siedlung an einem Nach­mittag je Woche ein Bastelangebot anzubieten. Einer­seits zur Ent­lastung der Eltern, anderseits gaben wir so als Pensionierte der Gemeinschaft unserer Siedlung, dieser wunderbaren Wohn- und Lebensform, etwas Kostbares zurück. Wir haben dies zwei Jahre gemacht. Leider kam dann die Pandemie.
Für mich ist es ein grosses Glück, hier mit so fantastischen Leuten in dieser wunderbaren Umgebung woh­nen zu können. Man hat immer die Möglichkeit Teilgeber und zugleich Teilnehmer zu sein.
Als wir hier eingezogen sind, haben wir einen Rohbau bezogen. Zusammen haben wir selber gemalt und selber Böden und Platten gelegt. Da die meisten aus Altbauwohnungen kamen und bereits Kühlschränke und Kochplatten besassen, wurden schlussendlich auch gar keine Küchen eingebaut, um unserer Vorstellung von möglichst einfach und günstig zu entsprechen. In den Wohnungen existierten anfänglich nur die Aussenwände. Dadurch konnten wir unsere Zimmeranzahl selbst definieren und nachträglich wieder ändern. Im Innenausbau dieser Wohnung gibt es keine Türe, die nicht recycelt wurde.
Es braucht ein bisschen Toleranz dafür, dass sich die einen mehr engagieren und die anderen ein bisschen weniger, das ist einfach so. Schlussendlich sind die Möglichkeiten nicht immer gleich. Ich finde es wichtig, dass es den Leuten wohl ist. Dass man sagen darf: «Ich mähe den Rasen nicht gerne, ich bin jetzt einfach so.» Dort finden wir dann einen Kompromiss.
Für unsere Kinder war es wahnsinnig toll, hier aufzuwachsen, und wir als Eltern waren untereinander sehr vernetzt in der Siedlung. Wir sprachen uns für die Betreuung mit einer Nachbarsfamilie ab, damit sie einen Tag zu unseren Kindern schauten und wir einen Tag zu ihren. Das ermöglichte mir, noch eine Ausbildung zu machen.
Im Moment beteiligen wir uns beide sehr aktiv am Lebensraum. Ich wollte schon immer ein bisschen Landwirtschaft betreiben und dadurch, dass mehrere Personen sich um die Tiere kümmern, liegt nicht die gesamte Verantwortung bei mir. Im Sommer nehme ich die Schafe mit auf die Alp und den Rest des Jahres verbringen sie hier, wo die Menschen und auch die Natur von ihnen profitieren.
Mein Mietverhältnis hier war seit Anbeginn eine Zwischenlösung, da es eigentlich eine Eigentumswohnung hätte sein sollen. Nach zehn Jahren war es dann soweit, doch die dreistöckige Wohnung zu kaufen war zu teuer. Ein anderer Bewohner aus der Siedlung hörte davon und schlug vor, die beiden oberen Stockwerke zu kaufen, während ich den untersten Stock kaufte.
Der Treppenaufgang wurde zugemauert und ist nun unsere Abstellkammer. Ich hatte aber noch drei Kinder zu Hause. Den beiden älteren habe ich dann eine Wohnung in der Siedlung gemietet, was diese natürlich absolut toll fanden. Das war grossartig, dies innerhalb der Siedlung umzusetzen und hierbleiben zu können.
Wir sind von Zürich hierhingezogen, als wir ein Kind wollten, damit es mit der Betreuung und der Arbeit aufgeht. Wir haben uns gedacht, dass es ohne Auto etwas stressig wird, aber es ist gut machbar.
Ich kenne viele Leute im meinem Umfeld, die so Leben möchten. Wo das Geld einen anderen Stellenwert hat, wo versucht wird, die Lebensqualität hoch zu halten, anstatt so schnell wie möglich ein Haus zu bauen und dann eine Hypothek abzuzahlen.
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